HOFFEN, DASS DIE KIRCHE SICH BEWEGT. Kirche – Der katholische Dekan und Pfullinger Pfarrer Hermann Friedl redet Klartext: über Zölibat, Frauen in der Kirche, sexuellen Missbrauch und mehr – Von Norbert Leister

Dekan Hermann Friedl sieht einige Baustellen in der katholischen Kirche, nicht nur die neben der Pfullinger St. Wolfgangskirche, wo momentan ein neuer Kindergarten gebaut wird. Foto: Norbert Leister

PFULLINGEN. Hermann Friedl ist mittlerweile 60 Jahre jung. Er ist nicht nur Pfarrer für Lichtenstein und Pfullingen, sondern auch Dekan für den gesamten Kirchenbezirk Reutlingen, also für den ganzen Landkreis. »Manche fragen sich ja, was so ein Pfarrer überhaupt arbeitet«, sagt Friedl und schmunzelt. Außer sonntags den Gottesdienst zu leiten, habe so ein Pfarrer doch nicht viel zu tun, sei die gängige Meinung mancher Menschen. Tatsächlich nimmt jedoch die Seelsorge breiten Raum ein, die Zusammenarbeit mit den Kirchengemeinderäten, die Zuständigkeit für alle katholischen Kindergärten – und auch für die Gebäude. »Rufen Sie nachher noch bei der Versicherung an? Wegen des Wasserschadens im Pfarramt in Unterhausen«, fragt Friedls Pfarramtssekretärin.

Als Dekan ist er zudem Dienstvorgesetzter nicht nur aller katholischen Pfarrer im Landkreis, sondern auch von allen Einrichtungen der katholischen Kirche wie Caritas, Katholische Erwachsenenbildung, Psychologische Beratungsstelle, Sozialstationen und vielem mehr. Bleibt ihm bei all diesen Aufgaben überhaupt noch Zeit für Freizeit und fürs Privatleben? »Ich gehe zweimal die Woche in ein Fitnessstudio«, sagt er und lacht.

»Ich wollte eine Frau als Stellvertreterin durchkämpfen. Der Bischof sagte Nein«

Er sei ein positiv denkender Mensch, betont Friedl. Wobei er all die Themen, die aus den Kirchengemeinden an ihn herangetragen werden, nicht ignoriert. Wie zum Beispiel der Zölibat. »Der wurde ja erst im 11. Jahrhundert eingeführt «, sagt er, »es gab also in den ersten 1 000 Jahren kein Zölibat.« Dabei halte er das durchaus für eine mögliche Lebensform, »aber die sollte freiwillig sein«.

Hermann Friedl weiß von Kollegen, die im Pfarrhaus mit einer Frau oder sogar mit einem Mann zusammenleben. »Dabei handelt es sich oft um begnadete Pfarrer.« Verurteilen wolle er sie auf keinen Fall. »Sie leben oft in großer psychischer Not«, weil sie ihren Beruf lieben und doch gegen Kirchenregeln verstoßen. Friedl hofft und wünscht sich, dass irgendwann ein Papst den Zölibat aufhebt.

Auch andere Aufreger-Themen sieht er eher gelassen: Gleichgeschlechtliche Paare zu segnen, sei für ihn keine Frage,er mache das. Frauen sollten in der katholischen Kirche die gleichen Rechte eingeräumt werden wie Männern. »Aber ich fühle mich da ohnmächtig«, sagt der Dekan. »Bei meiner Dekanswahl wollteich eine Frau als Stellvertreterin durchkämpfen, doch der Bischof hat Nein gesagt.« Grundsätzlich sei aber klar: »Ohne die vielen Frauen im Ehrenamt wäre die katholische Kirche tot.«

Diese Themen seien auch vor 50 Jahren schon diskutiert worden, aber getan habe sich da bisher »einfach nichts«. Doch es sei nicht so, dass sich in der katholischen Kirche gar nichts bewege, erklärt er, es gehe nur recht langsam. So ganz sicher ist Hermann Friedl sich am Anfang selbst nicht gewesen: Geboren 1961 in Eislingen an der Fils, hat er nach dem Abitur Theologie in Tübingen und Luzern studiert. Sein Elternhaus habe ihn geprägt, Vater und Mutter seien sehr gläubig gewesen.

Während des Studiums habe er aber »irgendwie aus dem Blick verloren, dass danach das zölibatäre Leben auf mich wartet«. Eine vierwöchige Auszeit in einem Jesuitenkloster habe ihm dann Klarheit verschafft, dass dieser Weg doch der richtige für ihn sei. »Eine Ehe ist ja nicht nur Halleluja ebenso wenig wie Zölibat. In der Abwägung muss ich sagen, dass man ohne Ehe vielleicht weniger Stress hat«, sagt Friedl und lacht wieder. Seine Entscheidung bereue er auf jeden Fall nicht.

Zum Thema sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche sagt der Dekan: »Der Prozess, bis endlich gehandelt wurde, hat viel zu lang gedauert.« Die Schuldigen müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Mittlerweile gebe es immerhin einiges an Prävention, alle Kirchenmitarbeiter würden geschult, Fortbildungen müssten gemacht werden – um künftig Missbrauch zu verhindern, um besser auf das Verhalten aller zu schauen, um Übergriffe sofort zu melden.

»Mich ärgert, dass wir in der katholischen Kirche unter Generalverdacht gestellt werden«

»Was mich aber ärgert: Dass wir in der katholischen Kirche unter Generalverdacht gestellt werden«, betont Hermann Friedl. Klar sei, dass Missbrauch verfolgt und bestraft werden müsse. Aber dass nun alle Pfarrer als Pädophile angesehen würden, das sei schändlich. »Sexuellen Missbrauch gibt es überall. Aber die katholische Kirche wird fast allein an den Pranger gestellt.«

Anonyme Schmäh- oder Drohbriefe, wie auch der Dekan sie immer wieder erhält, würden die Situation nicht verbessern. Widerlich, unverschämt und abscheulich sei, was in manchen dieser Briefe stehe. »Ich bin überzeugt, dass es die Kirche braucht, denn ohne sie wäre Gott tot«, sagt Friedl. »Wer würde sonst noch von Jesus Christus reden?« Wenn Menschen nicht mehr zum Gottesdienst zusammenkämen, nicht mehr zusammen beten würden, »dann würde der Gemeinschaftscharakter verloren gehen«. Er glaubt, dass nach Corona die Gemeinden kleiner sein werden.

Mit seinen 60 Jahren darf Hermann Friedl noch nicht an die Rente denken. Das Austrittsalter für Pfarrer liege bei 70 Jahren. »Es wird aber gerade über eine Erhöhung auf 75 Jahre diskutiert.« Das »Rentenalter« für Bischöfe liege im Übrigen bereits bei 75 Jahren.

Leise Hoffnungen hegt der Dekan, dass sich die katholische Kirche doch irgendwann einmal ein wenig schneller bewegen werde: »Dass es wenigstens mal Diakoninnen gibt, dass der Papst mal vom Volk und nicht von Kardinälen gewählt wird.«

Und insgeheim wünsche er sich, dass es irgendwann mal eine Päpstin geben werde. Friedl lacht bei diesem fast schon ketzerischen Gedanken. Doch er besinnt sich schnell: »Ach, nein, da müsste ja das Kirchenrecht geändert werden.« Darin steht nämlich, dass ein Papst katholisch sein muss. Und ein Mann. »Aber ich lebe aus der Hoffnung «, sagt Hermann Friedl augenzwinkernd.

Norbert Leister, © 24.01.2022 Reutlinger General-Anzeiger, Seiten 1 u. 10