Pfingstbotschaft von Dekan Hermann Friedl: Freiheit der Kinder Gottes

Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Freundinnen und Freunde in Gesellschaft und Kirche,

wenn es einen „Personalausweis“ für Christen gäbe, dann wäre dort sicherlich die Freiheit als ein unveränderliches Kennzeichen eingetragen (Papst Franziskus). Dabei ist die Freiheit der Kinder Gottes die Frucht der Wiederherstellung der Beziehung zu Gott, die Jesus bewirkt hat.

Diese Freiheit ist heute mehr denn je gefährdet angesichts der Bedrohungen für Frieden und Sicherheit durch den Ukrainekrieg und unzählige Gewalttaten, einschließlich der sexualisierten Gewalt und des Missbrauchs auch in der Kirche. Sie ist zudem ins Wanken geraten durch die Klimakrise, des Zustandes des globalen Finanzsystems, der Gesetzlosigkeit im Internet und nicht zuletzt durch die Coronavirus-Pandemie.

Sprach man nach dem Zweiten Weltkrieg noch davon, dass Not Beten lehrt, hat sich Spiritualität und Glaubenspraxis von Christen entsprechend der gesellschaftlichen Entwicklung mittlerweile derart individualisiert, dass auch die großen Kirchen kaum mehr gehört werden, geschweige denn die Gotteshäuser sich füllen.

Der Priester, Hydrotherapeut und Naturheilkundler Sebastian Kneipp (1821-1897) sagte einmal: „Not lehrt beten – und seinen Verstand gebrauchen“. Oder mit Immanuel Kant (1724-1804) ausgedrückt: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ Entweder ist

die Not noch nicht groß genug, oder bei manch einem Politiker oder kirchlichen Würdenträger setzt der Verstand aus, blicken wir in die Gegenwart unserer Kirche, Gesellschaft und Welt.

Was in der Keimzelle der Familie einst grundgelegt wurde – Verwurzelung und Stabilität im Glauben -, findet im überreizten Familienmanagement, in der beruflich-existentiellen Absicherungsnot und in einer diesseits orientierten Zukunftsplanung kaum mehr Raum. Die Konsequenz: Vereinzelung, Vereinsamung, Isolation, Depression, Krankheit und lebendiger Tod.

Die Umstände in der Zeit vor Pfingsten 2021 erlaubten es mir leider nicht, einen Pfingstbrief zu verfassen und zu verschicken. Ein kleines Trostpflästerchen möge das Foto auf der Vorderseite aus selbigem Jahr sein: umgeben vom Licht der Sonne – Jesus Christus ist das Licht der Welt (vgl. Johannes 8,12) -, nicht nur im Schattenwurf das Kreuz – Längs- und Querbalken als Verbindung von Himmel und Erde und der Menschen miteinander (vgl. das Motto des gerade zu Ende gegangenen 102. Katholikentags in Stuttgart: Leben teilen) -, und alles geborgen in Gottes Hand – Geschöpf, Schöpfung, Schöpfer.

Nun schreibe ich Ihnen in eine Zeit erneuten Aufrüstens hinein wieder meinen traditionellen Brief zu Pfingsten, nicht nur, um der Briefflut zu Weihnachten zu entgehen, sondern vor allem, um die Bedeutung dieses leider am meisten vernachlässigten Hochfestes der Christen hervorzuheben und auf die Kraft hinzuweisen, die durch das Leben und den Glauben trägt.

„Freiheit der Kinder Gottes“ – so habe ich meine Zeilen überschrieben.

Weltlich gesprochen endet „die Freiheit des Einzelnen … dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt“ (Immanuel Kant). Dies impliziert, dass der Mensch nicht nur Rechte hat, sondern auch Pflichten und Verantwortung sich selbst, den anderen und Gott gegenüber.

Theologisch schildert die Erzählung von der Heilung des Gelähmten im Tempel die Bedeutung christlicher Freiheit wieder:

„Petrus und Johannes blickten den [auch innerlich Gelähmten] an und Petrus sagte: Sieh uns an! Da wandte er sich ihnen zu und erwartete, etwas von ihnen zu bekommen. Petrus aber sagte: Silber und Gold besitze ich nicht. Doch was ich habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi, des Nazoräers, steh auf und geh umher!“ (Apostelgeschichte 3,5f.)

Ihnen allen, die Sie sich auf Ihre je persönliche Art und Weise für unser Dekanat Reutlingen-Zwiefalten und unser gesellschaftliches Leben mit Empathie und Leidenschaft einsetzen, gilt meine aufrichtige Wertschätzung, hohe Achtung und mein großer Dank! Wir tun gut daran, uns stets auf die demokratisch errungenen Werte zu stützen, für sie einzutreten, sie zu erhalten und in unserem christlichen Engagement nicht nachzulassen, bläst der Wind auch noch so ins Gesicht!

Von Herzen wünsche ich Ihnen allen die Geistkraft unseres Gottes: Eine hoffnungsvolle Zukunft für die Kreatur, Gesundheit, Frieden und ein Leben in Würde! Auf ein weiter gutes und segensreiches Miteinander im Dekanat, in der Ökumene, im Landkreis und weit darüber hinaus!

Foto: Auf dem Klima-Weg Sonnenbühl-Undingen am Tag Johannes des Täufers 2021